Medizinnobelpreis 1960: Frank McFarlane Burnet — Peter Bryan Medawar

Medizinnobelpreis 1960: Frank McFarlane Burnet — Peter Bryan Medawar
Medizinnobelpreis 1960: Frank McFarlane Burnet — Peter Bryan Medawar
 
Der Australier Burnet und der Brite Medawar erhielten den Nobelpreis für die »Entdeckung der erworbenen immunologischen Toleranz«.
 
 Biografien
 
Sir (seit 1951) Frank MacFarlane Burnet, * Traralgon (Australien) 3. 9. 1899, ✝ Melbourne (Australien) 31. 8. 1985; ab 1924 nach seiner Promotion Tätigkeit am Walter and Eliza Hall Institute for Medical Research in Melbourne, 1925-28 in London, 1932-33 am National Institute of Medical Research, Hampstead (Großbritannien), ab 1944 Direktor des Walter and Eliza Hall Institute for Medical Research und Professor an der University of Melbourne.
 
Sir (seit 1965) Peter Bryan Medawar, * Rio de Janeiro 28. 2. 1915, ✝ London 2. 10. 1987; 1947 Professor für Zoologie an der Birmingham University, 1951 am University College London, 1962-71 Direktor des National Institute of Medical Research (Großbritannien), 1971-84 Clinical Research Centre in Northwick Park.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Frank MacFarlane Burnet war einer der bekanntesten Virologen seiner Zeit. Durch Grundlagenforschung leistete er Pionierarbeit in dieser jungen Wissenschaft. Er wies Bakteriophagen (Viren, die sich in Bakterien vermehren) nach und klassifizierte sie. Er verbesserte die Methoden zur Kultivierung von Viren auf Hühnerembryonen und entwickelte eine Methode zur quantitativen Messung der Virusvermehrung. Burnet konnte zeigen, dass das Q-Fieber nicht durch Viren, sondern durch ein Bakterium aus der Familie der Rickettsien verursacht wird. Es wurde ihm zu Ehren »Coxiella burnetii« benannt. Außerdem erforschte er Polioviren, Herpesviren und suchte viele Jahre vergeblich nach einer wirksamen Impfung gegen Influenzaviren.
 
 
Die Immunologie befasst sich mit den Abwehrvorgängen im Körper. Abwehr setzt voraus, dass das Immunsystem körpereigene von körperfremden Substanzen unterscheiden kann. Dabei stellen sich zwei grundsätzliche Fragen. Erstens: Wie entsteht die scheinbar unendliche Vielfalt der Abwehrstoffe (Antikörper = AK), die jedes erdenkliche körperfremde Eiweiß spezifisch erkennen können? Und zweitens: Wie lernt der Körper, die eigenen Eiweiße zu tolerieren, damit sie nicht ebenfalls der Abwehr unterliegen? Beide Probleme half Burnet durch geradezu prophetische Hypothesen zu lösen. Burnet war im Rahmen seiner Virusforschungen aufgefallen, dass er Hühnerembryonen gegen bestimmte Viren nicht immunisieren konnte. Die Hühner entwickelten sich normal und blieben gesund, obwohl sie die Viren in sich trugen und keine AK dagegen gebildet hatten. Andere Arbeitsgruppen fanden vergleichbare Resultate bei Mäusen. Der amerikanische Genetiker Ray Owen beobachtete 1945, dass 2-eiige Kälber-Zwillinge, die einen Teil der Plazenta gemeinsam hatten, mit Erythrozyten unterschiedlicher Blutgruppen weiterlebten, ohne dass es zu einer Immunreaktion kam. Voraussetzung dafür war ein Austausch von Blutzellen während der Embryonalzeit durch die Verbindung in der Plazenta. In seinem Buch »The production of antibodies« (1949, englisch; Die Erzeugung von Antikörpern) sagte Burnet deshalb voraus, dass man Organismen in der Embryonalphase durch Einbringen von Fremdartigen künstlich tolerant machen könne. Diese erworbene Toleranz bedeutet: »Wenn im embryonalen Leben Zellen einer genetisch unterschiedlichen Rasse eingepflanzt werden, sollte sich keine AK-Antwort gegen das fremde Zell-Antigen entwickeln, wenn das Tier sich unabhängig weiterentwickelt.«
 
 Medawar bestätigt Burnets Hypothese
 
Die von Burnet formulierte Hypothese prüfte Peter Brian Medawar 1953 in London mit seinen Kollegen, den Immunologen Rupert Billingham und Leslie Brent, in einem genialen Experiment: Er impfte Mäuseembryonen im Mutterleib mit Zellen eines fremden Mausstamms. Nach der Geburt wurde ihnen Haut von unterschiedlichen Mäusen transplantiert. Tatsächlich wuchsen die Hauttransplantate derjenigen Mausstämme an, mit denen die Versuchstiere geimpft worden waren. Die Transplantate wurden toleriert. Die Hautstücke aller übrigen Mausstämme wurden erwartungsgemäß weiterhin abgestoßen. Burnets These war bestätigt: Toleranz wird in der Embryonalzeit erworben. Für diese Erkenntnis erhielten Burnet und Medawar den Nobelpreis. Eines der grundlegenden Probleme der Immunologie war damit geklärt: Der Körper stößt eigene Zellen nicht ab, weil er als Embryo eine Toleranz gegenüber den körpereigenen Eiweißen entwickelt.
 
 Medawar und die Transplantationsimmunologie
 
Medawars wissenschaftliche Karriere hatte mit Experimenten zur klinischen Anwendung des 1928 von Alexander Fleming (Nobelpreis 1945) entdeckten Penicillins begonnen. Während des Zweiten Weltkriegs erforschte er mögliche Therapieformen für Verbrennungsopfer, wie Hauttransplantationen. Medawar entdeckte am Tiermodell, dass ein zweites Hauttransplantat desselben Spenders schneller abgestoßen wird als das vorige. Daraus zog er als Erster den Schluss, dass die Organabstoßung ein immunologisches Geschehen sei und von Lymphozyten getragen werde (zellvermittelte Immunität). Aber auch nach Verleihung des Nobelpreises entwickelte Medawar die Immunologie maßgeblich weiter. Er produzierte ein Antilymphozytenserum, das die Abstoßungsreaktion vermindern konnte (Immunsuppression) und so die Transplantationsbedingungen deutlich verbesserte. Zu Recht gilt Medawar als der Begründer der Transplantationsimmunologie.
 
Auch Burnet leistete seinen größten Beitrag zur Immunologie erst nach Entdeckung der immunologischen Toleranz. Das oben beschriebene Rätsel der AK-Vielfalt war ja noch ungelöst! Burnet hatte bereits in den 1920er-Jahren beobachtet, dass die Menge der als Immunantwort produzierten AK im Blut logarithmisch ansteigt. Er schloss daraus, dass sich »etwas« verdoppele, das AK produziere. Burnet folgerte, dass nur bestimmte weiße Blutkörperchen (Lymphozyten) sich durch Teilung vermehren, die dann die AK produzieren. Dies widersprach der bislang gültigen »Instruktionstheorie«, nach der sich AK an der räumlichen Struktur des eindringenden AG wie an einer Schablone formen, bevor sie von allen Lymphozyten in großer Menge produziert werden. Dies widerlegte 1955 Niels Jerne (Nobelpreis 1984) durch die »natürliche Selektionstheorie«, die Burnet 1957 zur bis heute gültigen »Klonselektionstheorie« erweiterte. Jeder Lymphozyt trägt einen anderen AKauf seiner Oberfläche und vermehrt sich, falls er auf das AG seiner Spezifität trifft.
 
Mit dem Nobelpreis geehrt wurde die Entdeckung immunologischer Toleranz, die von Burnet als abstraktes Phänomen erkannt und von Medawar experimentell erzeugt und untersucht worden war. Herstellen ließ sie sich aber nur bei Embryonen. Es ist bis heute nicht gelungen, spezifische Toleranz bei Erwachsenen zu erzeugen. Dies wäre die Voraussetzung für ganz neue Therapieansätze: Lebenserhaltende Transplantate ließen sich vor Abstoßung schützen, Allergiker könnten tolerant gegenüber »ihrem« Allergen gemacht werden, die verloren gegangene Toleranz gegen körpereigene Substanzen wäre bei Autoimmunerkrankungen wieder herstellbar. In der Laudatio von 1960 war die Entwicklung solcher Therapien optimistisch eingeschätzt worden. Die Hoffnung hat sich bisher nicht erfüllt.
 
G. Neitzke

Universal-Lexikon. 2012.

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